Will sich ein Arbeitnehmer seine Überstunden bezahlen lassen, muss er deren Ableistung beweisen – ebenso wie deren Anordnung oder Billigung durch den Arbeitgeber. Das hat das Bundesarbeitsgericht jüngst (Urteil v. 04.05.2022, Az.: 5 AZR 359/21) entschieden und damit die bestehende Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Beweislasttragung seit des sog. Stechuhr-Urteils des Europäischen Gerichtshofs vor drei Jahren beseitigt.

 

Situation

Der Arbeitnehmer erhält für die vereinbarte Arbeitszeit eine feste monatliche Vergütung. Leistet der Arbeitnehmer allerdings mehr Stunden als vertraglich vereinbart (Überstunden), stellt sich die Frage, inwieweit der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden bezahlen und vor allem wer die geleisteten Überstunden darlegen und beweisen muss. Die ständige Rechtsprechung und prozessrechtlichen Grundsätze, wonach der Arbeitnehmer das Wann, Wo und Wie der erbrachten Mehrarbeit zu beweisen hat, wurde vor drei Jahren vom EuGH im sog. Stechuhr-Urteil ins Wanken gebracht. Denn der EuGH hält die Arbeitgeber für verpflichtet, die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zum Zwecke eines effektiven Arbeitnehmerschutzes anhand eines objektiven und verlässlichen Systems zu erfassen und zu dokumentieren. Mit Spannung war daher erwartet worden, ob Deutschlands oberste Arbeitsrichter dennoch an ihrer bisherigen Linie zur Beweislast festhalten würden, die diese für deren Vergütungsanspruch beim Arbeitnehmer sahen.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Anlass für die jetzige Entscheidung des BAG war eine Klage eines Auslieferungsfahrers aus dem Jahre 2020 vor dem Arbeitsgericht Emden. Hier war der Sachverhalt hinsichtlich der geleisteten Überstunden nicht eindeutig:

Der Arbeitnehmer hatte zwar Anfang und Ende seiner Arbeitszeit dokumentiert, konnte aber nicht beweisen, dass und wann er Überstunden geleistet, was er dabei getan und dass der Arbeitgeber sie angeordnet bzw. geduldet hat. Das Arbeitsgericht befand, die Darlegungs- und Beweislast in einem Überstundenprozess liege seit jenem EuGH-Urteil beim Arbeitgeber, wenn dieser nur die „Kommt- und Geht-Zeit“ dokumentieren lasse: Die Nichterfassung durch ihn stelle eine Beweisvereitelung dar.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen in der Berufungsinstanz sah das anschließend deutlich anders: Den Europarichtern habe nämlich die Kompetenz gefehlt, zu Fragen der Vergütung Stellung zu beziehen.

Auch die Bundesarbeitsrichter in Erfurt ließen sich nicht beirren. Ein Arbeitnehmer habe zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet und zudem der Arbeitgeber die geleistete Mehrarbeit ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder gebilligt habe. Es mag feinsinnig erscheinen, aber (so das BAG) die Grundsätze der EuGH-Entscheidung betreffen die Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne (Höchstarbeitszeiten, Ruhezeiten, Pausen etc.), und nicht im vergütungsrechtlichen Sinne.

Konsequenz

Folglich hat – zur Erleichterung der Arbeitgeber – das BAG die Grundsätze zur Darlegungslast trotz des Urteils des EuGH gerade nicht geändert. Ansonsten wären nun pauschale Behauptungen der Arbeitnehmer ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten für eine Überstundenabgeltung ausreichend gewesen, welchen die Arbeitgeber nur wenig entgegensetzen hätten können. Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit hat deshalb keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Beweislast in Überstundenprozessen.

Bei Fragen zum Thema sprechen Sie uns gerne an.

Stand: 13.05.2022

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Tobias Schwartz | Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Handels- u. Gesellschaftsrecht

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