Muss eine aus Rechtsanwälten und Steuerberatern bestehende Kanzlei, die für eine GmbH die Lohnbuchhaltung führt, eigenverantwortlich die Frage der Sozialversicherungspflichtigkeit von Geschäftsführern klären? Dazu hat der Bundesgerichtshof am 8.2.2024 ein Grundsatzurteil gefällt (Az. IX ZR 137/22).
Zum Sachverhalt
Drei Handwerker ließen sich zur Unternehmensgründung von ihrer zuständigen Kammer und einem Versicherungsmakler beraten. Laut Satzung der sodann gegründeten GmbH konnten die paritätisch beteiligten Gesellschafter Beschlüsse mit einfacher Mehrheit fassen. Eine Sperrminorität war nicht vorgesehen. Anstellungsverträge für die Gesellschafter-Geschäftsführer hatte die GmbH von einer Anwalts- und Steuerberatersozietät entwerfen lassen.
Anschließend, Ende 2013, wurde dieselbe Kanzlei mit der Lohnbuchhaltung für die GmbH mandatiert. Der Lohnbuchhalter ging von Sozialversicherungsfreiheit der Geschäftsführer aus. Anfang 2014 bat der Versicherungsmakler die Kanzlei, einen Fragebogen für die Berufsgenossenschaft auszufüllen und zu bestätigen, dass die Geschäftsführer sozialversicherungsfrei seien. Die Kanzlei gab im Fragebogen an, dass die Geschäftsführer „im Wesentlichen weisungsfrei hinsichtlich Zeit, Dauer, Umfang und Ort der Tätigkeiten“ seien, bestätigte jedoch nicht ausdrücklich die Sozialversicherungsfreiheit.
Die Deutsche Rentenversicherung ordnete nach einer Betriebsprüfung Ende 2019 die Geschäftsführer als sozialversicherungspflichtig ein und forderte von der GmbH eine Beitragsnachzahlung von über 258.000 €. Die GmbH will entsprechenden Schadensersatz von der Kanzlei.
Das Urteil
Der BGH hob die der Klage stattgebenden Urteile der Vorinstanzen auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das OLG, damit es den Sachverhalt weiter aufklärt.
Die Leitlinien des BGH
- Ein Lohnbuchhaltungsmandat umfasst per se keine Pflicht, den sozialversicherungsrechtlichen Status von GmbH-Geschäftsführern eigenständig zu klären. Denn die (Haupt-)Pflichten eines Mandats ergeben sich aus dem konkret übernommenen Auftrag. Lohnbuchhaltung ist etwas grundsätzlich anderes als Rechtsberatung; letztere wird damit nicht ohne weiteres geschuldet.
Das gilt auch dann, wenn ein Rechtsanwalt, ein Steuerberater oder eine aus diesen Berufsträgern bestehende Gesellschaft ein reines Lohnbuchhaltungsmandat übernehmen.
- Lohnbuchhalter müssen die Arbeitsentgelte und die gesetzlichen Abzüge erfassen, abrechnen und buchen. Das erfordert neben der technischen Abwicklung auch die korrekte Berechnung der Abzugsbeträge. Hinsichtlich der dieser Berechnung vorgelagerten Frage, ob die Tätigkeit des Entgeltempfängers sozialversicherungspflichtig ist, ist die Lohnbuchhaltung an eine verbindliche Vorgabe des Mandanten gebunden.
- Wenn eine verbindliche Vorgabe fehlt und die statusrechtliche Einordnung weder als zweifelsfrei noch als anderweit geklärt anzusehen ist, haben Lohnbuchhalter die vertragliche (Neben-)Pflicht, auf eine Klärung der Statusfrage durch den Mandanten hinzuwirken.
- Von Zweifelsfreiheit über den sozialversicherungsrechtlichen Status eines Mitarbeiters kann bei einem „typischen Arbeitsverhältnis ohne Besonderheiten“ ausgegangen werden. Darunter fällt laut BGH insbesondere „Tätigkeit nach Weisung eines Vorgesetzten in einem Unternehmen gegen eine erfolgsunabhängige Vergütung oberhalb der Grenze für geringfügige Beschäftigung (§§ 8, 8a SGB IV) und unterhalb der krankenversicherungsrechtlichen Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 6 und 7 SGB V.“
- Als für Zwecke der Lohnbuchhaltung hinreichend geklärt betrachtet der BGH die sozialversicherungsrechtliche Statusfrage, wenn sie entweder
- anwaltlich geprüft ist oder
- einschlägige Bescheide der Sozialversicherungsträger vorliegen oder
- die bisherige Einordnung im Rahmen einer Betriebsprüfung der Rentenversicherung nach § 28p SGB IV unbeanstandet geblieben ist.
Dagegen ist nicht von einer fachkundigen rechtssicheren Klärung auszugehen, wenn die statusrechtliche Einordnung eines Mitarbeiters nur auf der Einschätzung einer Kammer, eines Berufsverbands oder eines Versicherungsmaklers beruht.
- Hat der Lohnbuchhalter seine vertragliche Nebenpflicht verletzt, auf eine verbindliche Klärung der Statusfrage durch den Mandanten hinzuwirken, dann muss das Gericht im Streitfall klären, wie der Mandant bei Erhalt der gebotenen Hinweise auf diese reagiert hätte.
- Ein Mitverschulden des Mandanten an dem Schaden kommt insbesondere dann in Betracht, wenn er zur Frage der Sozialversicherungspflicht der Geschäftsführer unterschiedlich beraten worden ist und trotzdem von Einholung einer fachkundigen Überprüfung absieht.
- Ein Mitverschulden des Mandanten ist ausgeschlossen, wenn die Kanzlei neben dem Buchhaltungsmandat zusätzlich eine Vertragspflicht zur Beratung des Mandanten über den sozialversicherungsrechtlichen Status seiner Geschäftsführer übernommen hat.
Folgerungen
Unternehmen dürfen keinesfalls darauf vertrauen, schon mit Erteilung eines Lohnbuchhaltungsmandats sozialversicherungsrechtlich „auf der sicheren Seite“ zu sein. Vielmehr bleibt es in der Verantwortung der Unternehmensleitung, eine kompetente Klärung zu veranlassen, wenn der sozialversicherungsrechtliche Status von Mitarbeitern nicht jedem vernünftigen Zweifel entzogen ist.
Speziell zur Prüfung der nicht selten kniffeligen Frage, ob GmbH-Geschäftsführer im Einzelfall sozialversicherungsfrei sind, sollten Mandanten nur ausgewiesene Fachleute heranziehen, statt sich mit den (insoweit unverbindlichen) Einschätzungen beispielsweise von Kammern, Berufsverbänden oder Versicherungsmaklern zu begnügen.
Entsprechendes gilt, wenn Unternehmen öfters freie Mitarbeiter einsetzen, deren Status (entgegen dem beiderseitigen Wunsch) als nur scheinbar selbständig und damit als sozialversicherungspflichtig gewertet werden könnte.
Lohnbuchhalter sind gut beraten, bei statusrechtlichen Zweifeln ausdrücklich und nachweisbar eine verbindliche Vorgabe ihrer Auftraggeber einzuholen und, wenn diese ausbleiben sollte, den Mandanten in aller Deutlichkeit auf das Erfordernis einer kompetenten Klärung der Statusfragen hinzuweisen.
Prof. Dr. Andreas Quiring
Rechtsanwalt
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