Bereits in unserem Sondernewsletter vom 20.09.2022 sowie – ausführlich – in unserem letzten Newsletter haben wir uns mit einer vielbeachteten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13.09.2022 auseinandergesetzt, wonach Arbeitgeber bereits jetzt gesetzlich dazu verpflichtet sind, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten aufzuzeichnen. Nachdem sich die darauffolgende öffentliche Diskussion lediglich auf eine kurze Pressemitteilung des BAG zur Entscheidung stützen konnte, blieben viele Ungewissheiten, etwa dahingehend, in welcher Form das Zeiterfassungssystem eingerichtet werden muss und ob leitende Angestellte von der Verpflichtung zur Zeiterfassung ausgenommen sind.
Nun hat das BAG – lange erwartet – die umfassenden Entscheidungsgründe veröffentlicht, mit denen es zwar nicht alle, aber doch einen Großteil der aufgeworfenen Fragen beantwortet:
- Durch die Pressemitteilung war bereits bekannt, dass das BAG die Verpflichtung zur Zeiterfassung aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) herleitet. Danach haben Arbeitgeber für eine geeignete Organisation zu sorgen, um notwendige Arbeitsschutzmaßnahmen umzusetzen. Bei unionskonformem Verständnis beinhalte dies nach Ansicht des BAG auch die Verpflichtung von Arbeitgebern, ein System zur Erfassung der von ihren Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen, das Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden
- Wie durch die nun veröffentlichte Begründung nun klargestellt wird, darf das zu schaffende objektive, verlässliche und zugängliche System sich nicht darauf beschränken, die Arbeitszeit lediglich zu messen, sondern muss die entsprechenden Daten auch aufzuzeichnen. Entscheidend ist, dass die Lage der Arbeitszeit und die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten überprüfbar und gegebenenfalls einer behördlichen Kontrolle zugänglich
- Es ist auch nicht ausreichend, den Arbeitnehmern ein solches System lediglich zur Verfügung zu stellen und es ihnen zu überlassen, ob sie davon Gebrauch machen wollen oder nicht. Vielmehr obliegt es dem Arbeitgeber sicherzustellen, dass die Zeiterfassung auch tatsächlich und zutreffend durchgeführt Die Aufgabe der Zeiterfassung kann entweder direkt durch den Arbeitgeber erledigt oder aber auf die Arbeitnehmer übertragen werden; in letzterem Falle wird der Arbeitgeber aber stichprobenhaft kontrollieren müssen, ob dieser Erfassungspflicht auch nachgekommen wird.
- Wir verstehen den Beschluss des BAG so, dass die Pflicht zur Zeiterfassung für alle Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gilt und damit auch für leitende Angestellte. Die in den §§ 18 bis 21 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) vorgesehenen Ausnahmen (nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG gilt das ArbZG nicht für leitende Angestellte und Chefärzte) seien, so das BAG, im Bereich des § 3 Abs. 2 Nr. 1ArbSchG nicht einschlägig. Es bestehe aber die Möglichkeit des Gesetzgebers, solche Ausnahmen auch im Bereich des ArbSchG zu schaffen, wovon bislang aber kein Gebrauch gemacht wurde.
Es gibt allerdings auch Stimmen, nach denen die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nicht für leitende Angestellte gelten soll. Hier blieb das BAG unkonkret.
- Schließlich führt das BAG noch aus, dass – solange vom Gesetzgeber (noch) keine konkretisierende Regelung getroffen wurde – die Zeiterfassung nicht ausnahmslos und zwingend elektronisch erfolgen müsse. So könne – je nach Tätigkeit und Unternehmen – eine Aufzeichnung in Papierform genügen (etwa bei Teilen der Belegschaft, die nicht „digital“ arbeiten). Bei der konkreten Ausgestaltung sei aber stets zu beachten, dass die Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer Zielsetzungen darstellen, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.
Fazit:
Die Rahmenbedingungen, innerhalb derer arbeitgeberseitig ein Zeiterfassungssystem geschaffen und ausgestaltet werden muss, sind durch die Begründung der Entscheidung nun abgesteckt und von Arbeitgebern schnellstmöglich umzusetzen. Eine Umsetzungsfrist gibt es nicht; nach Auffassung des BAG gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung schon lange.
Sofern ein Betriebsrat besteht, ist dieser zu beteiligen (nicht hinsichtlich des „ob“, sondern des „wie“); er hat sogar ein Initiativrecht bezüglich des „wie“ und kann dieses über eine Einigungsstelle versuchen durchzusetzen.
Es ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber, der es versäumt hat, eine tragfähige gesetzliche Grundlage für ein derartiges Zeiterfassungssystem zu schaffen und nun entsprechend unter Druck steht, bald nähere Bestimmungen hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung trifft. Ob darin auch Ausnahmen – etwa für leitende Angestellte – geschaffen werden, bleibt abzuwarten.
Stand: 08.12.2022
Tobias Schwartz | Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Handels- u. Gesellschaftsrecht
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Matthias Wißmach | Rechtsanwalt
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