Erschütterung des Beweiswerts einer AUB bei Nichtbeachtung der AU-Richtlinien

Im aktuellen Herbstnewsletter der LKC Rechtsanwälte hat sich Rechtanwalt Tobias Schwartz umfassend mit der Frage auseinandergesetzt, welcher Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („AUB“) beizumessen ist und wie dieser in Zweifelsfällen erschüttert werden kann.

In diesem Zusammenhang weisen wir speziell auf eine kürzlich veröffentlichte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 26.06.2023 – Az. 5 AZR 335/22) hin, in der sich das BAG erstmals mit der Frage auseinandersetzt, ob der Beweiswert einer AUB auch dadurch erschüttert werden kann, dass der behandelnde Arzt die Vorgaben der „Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung“ (im Folgenden: „AU-RL“ – abrufbar unter https://www.g-ba.de/richtlinien/2/) nicht beachtet hat.

Die AU-RL bindet unmittelbar zwar nur die Träger des Gemeinsamen Bundesausschusses, nicht dagegen Arbeitgeber und den Arbeitnehmer als Parteien des Arbeitsverhältnisses. Gleichwohl sind dort in § 4 und § 5 Regelungen enthalten, die sich auf medizinische Erkenntnisse zur sicheren Feststellbarkeit der Arbeitsunfähigkeit beziehen:

  • Nach § 4 Abs. 5 darf die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nur auf Grund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen, die unmittelbar persönlich oder mittelbar persönlich im Rahmen einer Videosprechstunde durchgeführt werden muss (für die Videosprechstunde werden dort dann weitere Anforderungen aufgestellt).
  • Eine Rückdatierung der Arbeitsunfähigkeit für eine vor der ärztlichen Inanspruchnahme liegende Zeit ist gemäß § 5 Abs. 3 nach gewissenhafter Prüfung nur ausnahmsweise und in der Regel nur bis zu drei Tagen zulässig. Erscheinen Versicherte entgegen ärztlicher Aufforderung ohne triftigen Grund nicht zum vereinbarten Folgetermin oder nehmen einen Termin für eine erneute Videosprechstunde nicht wahr, kann eine rückwirkende Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit versagt werden.
  • § 5 Abs. 4 sieht vor, dass die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit vom behandelnden Arzt nicht für einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen im Voraus bescheinigt werden soll; die absolute Obergrenze liegt bei einem Monat.

Das BAG greift in seiner Entscheidung den Grundsatz auf, dass für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit eine ordnungsgemäß ausgestellte AUB das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel ist, Arbeitnehmer daher den Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit in der Regel durch die Vorlage einer solchen ärztlichen AUB führen können.

Damit eine AUB aber als „ordnungsgemäß ausgestellt“ angesehen werden könne, müssen vom behandelnden Arzt die Vorschriften den AU-RL (soweit diese sich auf medizinische Erkenntnisse zur Feststellbarkeit der Arbeitsunfähigkeit beziehen) beachtet worden sein. Verstöße gegen die AU-RL bei Ausstellung der AUB sind mithin grundsätzlich dazu geeignet, ihren Beweiswert zu erschüttern.

Fazit:

In jüngster Vergangenheit hat das BAG in mehreren Entscheidungen zur Erschütterung des Beweiswertes Stellung genommen und damit etwas Transparenz in einem vormals mit Unsicherheiten behafteten Themenkomplex geschaffen.

Sollten Sie als Arbeitgeber begründete Zweifel an der Ordnungsgemäßheit einer AUB haben, sollten sie den Arbeitnehmer zunächst durch ein Anschreiben dazu auffordern, die von Ihnen erblickten Missstände zu beseitigen. Entscheiden Sie sich in der Folge, keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten, raten wir, hiervon unverzüglich die Krankenkasse zu informieren. Ansonsten droht nicht nur mit dem Arbeitnehmer, sondern auch mit der Krankenkasse eine gerichtliche Auseinandersetzung, da diese regelmäßig das im Entgeltfortzahlungszeitraum an den Arbeitnehmer gezahlte Krankengeld beim Arbeitgeber regressieren wird.

Sprechen Sie uns gerne an, sollten Sie Fragen zum Thema haben.

Stand: Dezember 2023
Autor: LKC Rechtsanwälte

Tobias Schwartz | Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Handels- u. Gesellschaftsrecht

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